Veterinäre und Juristen fordern eine komplette Videoüberwachung der CO2-Betäubung bei Schweinen

Deutschlandweit werden in 4.200 Betrieben jährlich 57 Millionen Schweine geschlachtet.

Jüngste Vorkommnisse in etlichen Bundesländern aber auch in NRW haben gezeigt, dass in einigen Bereichen des Schlachtablaufes Verbesserungspotential im Tierschutz besteht. Mit diesem Hintergrund hat die CDU-Fraktion NRW auf der Landtagssitzung vom 20.02.2019 einen Antrag auf Videoüberwachung in Schlachthöfen gefordert. Dieser Antrag hat den Bundesrat am 15. März durchlaufen und befindet sich zur Zeit im Bundestag. Überwacht werden sollen Abladen, Stall, Zutrieb, Betäubung und Entblutung.

Gängige Betäubungspraxis in 90 % aller großen Schlachtbetriebe ist die CO2-Betäubung. Die Schweine werden zu mehreren Tieren in eine Gondel getrieben, die dann quasi wie ein Fahrstuhl in eine Grube fährt. Im Inneren dieses Schachtes herrscht eine rund 90-prozentige CO2-Konzentration. Da Kohlendioxid schwerer ist als Luft, sammelt sich das Gas am Boden der Grube. Nach etwa 100 Sekunden fährt die Gondel wieder hinauf.

Was beim anschließenden Auswurf der betäubten Tiere sauber aussieht, entpuppt sich im Inneren des Schachtes als ein heiß diskutiertes Thema. CO2 ist ein stark reizendes Gas. Die Betäubung tritt nicht sofort ein, sondern erst nach 20, bzw. nach neuesten Erkenntnissen erst nach 60 Sekunden. Bis dahin leiden die Schweine unter Atemnot, Hyperventilation und Verbrennungen der Mund- und Nasenschleimhäute. Sie zeigen starke Abwehrreaktionen, panikartige Fluchtversuche und äußern schrille Schreie.

Dieses Verfahren ist laut EU-Verordnung von 2009 legalisiert. Man hatte seinerzeit zwar die Empfehlungen aus Gutachten zur Kenntnis genommen, aus dieser Praxis schrittweise auszusteigen, sie aber aus wirtschaftlichen Gründen nicht in die Tat umgesetzt. Es solle allerdings nach Alternativen geforscht werden.

Wissenschaftler und Veterinäre protestieren schon im Anfangsstadium dieser Entwicklung heftig.

Zuständige Forschungseinrichtung des Bundes für alternative Betäubungsarten ist zur Zeit das Friedrich-Löffler-Institut. Auf Anfrage teilte man mit, dass Versuche mit Helium und Argon zwar erfolgreich waren, sich aber nicht in die Praxis umsetzen ließen. Helium hätte eine Ressourcenknappheit, Argon eine zu geringe Zeitspanne zwischen Betäubung und Entblutung. Favorisiert würde momentan eine Kombination CO2 und Argon. Das Schwein nimmt Argon nicht wahr.

Den Grund für die Entwicklung der CO2-Betäubung zum Marktführer sieht man in wirtschaftlichen Vorteilen gegenüber der Elektrobetäubung. Durch das gleichzeitige Betäuben mehrerer Schweine könne man eine wesentlich höhere Stundenleistung mit weniger Personalaufwand erreichen.

Soll die kaum noch vorkommende Elektrobetäubung in Zukunft videoüberwacht sein, ist dieses für den eigentlichen Betäubungsvorgang im Inneren der CO2-Schächte bisher nicht geplant. Daher fordert unter anderem die BAG (Bundesarbeitsgemeinschaft Fleischhygiene, Tierschutz und Verbraucherschutz) eine komplette Überwachung des Betäubungsvorganges. „Die Überwachung wurde bislang zeitversetzt 40 Sekunden nach dem Auswurf der Tiere vorgenommen. Eine Kameraüberwachung im CO2-Schacht hätte sicherlich einen Informationsgewinn im Bezug auf den Ablauf der Betäubung“, erläutert der 1. Vorsitzende Dr. Braunmiller. „Das Schwein leidet ca. 20 Sekunden unter einem ausgeprägten Atemnotsyndrom. CO2 reizt stark die Atemwege und verdrängt in den Lungenbläschen den Sauerstoff. Das Tier nimmt dieses deutlich als Ersticken war. ( Siehe Video YouTube www.youtube.com/watch?v=QimwUm… ). Das ist der größtmögliche Stress, Angst und Schmerz, den man anhand der bis zur 1000-fachen Ausschüttung von Stresshormonen im Blut des Tieres nachweisen konnte.“

Ähnlich äußert sich die Deutsche Juristische Gesellschaft für Tierschutzrecht (DJGT) in Person des 1. Vorsitzenden Dr. Maisack. „Die Videoüberwachung der CO2-Schächte wird seitens der DJGT für sehr sinnvoll gehalten, da mit Hilfe der Aufnahmen gezeigt werden könnte, dass Schweine extrem unter dieser Art der Betäubung leiden. Gegebenenfalls kann auch so wissenschaftliches Material für ein Verbot dieser Betäubung gesammelt werden.“ Gleichzeitig verweist er ausdrücklich auf die rechtliche Problematik: „Die momentane Praxis der CO2-Betäubung verstößt gegen das deutsche Tierschutzgesetz. In ihm ist es verboten, Tiere ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zuzufügen. Rein wirtschaftliche Erwägungen können kein Grund für das Leiden der Tiere unter CO2 sein.“

Auf einen weiteren besonderen Aspekt verweist die Tierärztliche Vereinigung Tierschutz (TVT).

„In England ist eine generelle Videoüberwachung in Schlachtbetrieben schon seit Jahren Pflicht. Dort werden in die Gondeln Kameras installiert, die dann mit in die Schächte einfahren.“

WESTFLEISCH Münster teilte auf Anfrage mit, dass der Betrieb in Hamm noch die Elektrobetäubung anwendet. Es gäbe etliche Lebensmittel-Handelsketten, die diese Betäubung favorisieren würden. Zudem hätten Sie auch keinen Kenntnisstand über wissenschaftliche Untersuchungen, welche Betäubungsart „besser“ sei.

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Wolfgang Große-Westermann (18.07.2019; 16:48 Uhr)
wolfgang-grosse-westermann@t-o…

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Veröffentlicht von „der fellbeißer“© ( www.fellbeisser.net/news/ ) am 18.07.2019
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