Quelle: afz – allgemeine fleischer zeitung 50/2020
von Monika Mathes

fleischwirtschaft.de — FRANKFURT – Filmaufnahmen der Soko Tierschutz erzeugen ein großes Echo in den Medien.

Die Arbeit der Organisation ist nicht unumstritten: Während die Bilder in der Gesellschaft und in der Politik Entsetzen auslösen, reagieren Branchenkenner skeptisch und zweifeln die Ergebnisse der Recherchen an. Die afz – allgemeine fleischer zeitung nutzte die jüngsten mutmaßlichen Verstöße gegen den Tierschutz am Schlachthof Biberach ( www.fleischwirtschaft.de/suche… ) für ein Gespräch mit Friedrich Mülln, einem der Gründer des Vereins.

Welche Ziele verfolgt die Soko Tierschutz und wie finanziert sie sich?
Friedrich Mülln: Unser Ziel ist die Information der Menschen zu den Problemen in der Nutztierhaltung und damit verbunden ein Wirken auf den Schutz der Tiere, der Natur und die Stärkung der Rechte der Tiere. Soko Tierschutz möchte, dass mündige Bürger*innen mit gut recherchierten Informationen Entscheidungen im Sinne der Tiere treffen. Wir finanzieren uns ausschließlich aus Spenden.

Woher erhalten Sie Ihre Infos über tierschutzrechtliche Missstände? Wann werden Sie aktiv?
Mülln: Wir erhalten unsere Infos fast ausschließlich von Insidern aus der Tierindustrie. Tiertransportfahrer, Schlachter, Landwirte und in einem kleinen Teil auch Zufallsfunde von Anwohnern oder Touristen. Häufig kommt mit der Info der Hinweis, dass die Behörden informiert, aber untätig sind. Zudem kennen wir unsere ‚Pappenheimer‘, in 25 Jahren lernt man viel über die Branche.

Wie gehen Sie bei Aktionen vor? Prüfen Sie vorher, ob der von Ihren Informanten geäußerte Verdacht berechtigt ist? Und wenn er sich bestätigt: Suchen Sie erst das Gespräch mit dem Schlachthofbetreiber oder gehen Sie gleich an die Öffentlichkeit?
Mülln: Diese Meldungen werden nach Relevanz, Glaubwürdigkeit und Schweregrad bewertet und dementsprechend entschieden, ob weitere Ermittlungen oder ein sofortiges Einschreiten der Behörden notwendig ist. Leider braucht es oft sehr aufwändige Recherchen, zu denen die Behörden weder willens, noch in der Lage sind. Wir ermitteln verdeckt und suchen sehr wohl Kontakte zu den Firmen, aber ohne uns als Soko Tierschutz zu erkennen zu geben. Das würde sonst sofort zu Verdunklung führen. Vor der Öffentlichkeit informieren wir grundsätzlich die Behörden.

Die Videokameras werden offenbar ohne Wissen der Schlachthof-Betreiber installiert, Mitarbeiter werden ohne Einverständnis gefilmt. Das ist rechtlich schwierig. Wäre es nicht denkbar, sich ohne Regelverstoß für mehr Tierschutz einzusetzen?
Mülln: Solange das System auf ganzer Linie versagt und es zu dieser gravierenden Ballung von Missständen in der gesamten Branche kommt, sind investigative Taktiken leider alternativlos. Im Übrigen ist die Rechtslage klar und der Einsatz von Undercover-Aktivisten und versteckten Kameras durchaus rechtlich gerechtfertigt. Das ist kein Freischein für jede Art des Filmens durch die höchstrichterlichen Entscheidungen, aber eine Möglichkeit, den rechtlichen Rahmen im Sinne der Tiere zu nutzen, wenn die Begleitumstände passen. Wenn wir Material veröffentlichen, legen wir viel Wert auf den Schutz der Persönlichkeitsrechte, auch von mutmaßlichen Tätern.

Die Soko deckt immer öfter Missstände in kleinen Schlachthöfen auf. Gilt also: Je größer und industrieller der Betrieb, desto schonender die Schlachtung?
Mülln: Das kann man so pauschal nicht sagen. In den Großbetrieben haben wir es mit anderen Problemen zu tun und natürlich besonders mit der gewaltigen Anzahl von Tierhaltungsbetrieben und Tiertransporten, die massive Tierschutzdefizite aufweisen. In Sachen individueller Gewalt gegen Tiere, rechtswidriger Schlachtungen kranker Tiere und Hygiene/Schrotttechnik-Chaos sind die kleinen und mittleren Betriebe aber einsame Spitzenreiter.

An welchen Stellen des Schlachtvorgangs gibt es die meisten Probleme?
Mülln: Zutrieb und Betäubung. Die Betäubungssysteme sind durch die Bank problematisch: Tiere wollen nicht sterben und wehren sich. Eine fatale Kombination. Hier kommt es zu einer Ballung von Inkompetenz, Überforderung, schlechter Technik und mangelnder Kontrolle und Tieren, die jede Chance nutzen, um nicht getötet zu werden.

Wenn Tierschutzverstöße in Schlachthöfen aufgedeckt werden, spricht die Soko häufig von „Staatsversagen“. Was genau meinen Sie damit? Schauen die Veterinäre weg?
Mülln: Das Kontrollsystem durch Amtsveterinäre versagt auf ganzer Linie. Das fängt aber auch schon auf den Mast- und Zuchtbetrieben an. Die skandalös langen Kontrollzyklen von bis zu 40 Jahren, die Vorwarnung der Betriebe und die soziale Korrumpierung legen das System lahm. Im Schlachthof werden die amtlichen Veterinäre mit einer Mischung aus wirtschaftlichem Druck, schwachem Rückhalt oder sogar Mobbing zerrieben und man braucht sich nicht wundern, wenn jemand Straftaten gegen den Tierschutz nicht anzeigt, wenn er damit seine wirtschaftliche Grundlage oder sein Ansehen im Ort riskiert.

Warum ist die freiwillige Videoüberwachung in Schlachthöfen – wie sie teils schon praktiziert wird – Ihrer Meinung nach kein geeignetes Instrument, um Tierschutz und schonende Schlachtung zu gewährleisten?
Mülln: Eschweiler, Tauberbischofsheim, Biberach… – alles Schlachthöfe mit Videokameras im kritischen Bereich. Solange der Täter die Beweise löschen kann und die Veterinäre nicht einmal einschreiten, wenn sie mit ihren eigenen Augen daneben stehen, sind Glasaugen im Stall oder Schlachtraum eigentlich nur dazu gut, Tierschützer abzuschrecken. Und nicht mal das klappt, wie man an den drei Namen oben sehen kann. Alle wegen Tierquälerei geschlossen.

Wie können sich regionale und kleine Schlachtbetriebe in Sachen Tierschutz bestmöglich aufstellen?
Mülln: Das Gesetz nicht ständig brechen und die Kunden belügen, wäre ein Anfang. Ansonsten bitte ich um Verständnis, dass es nicht der Job einer Tierschutzorganisation ist, diesen Karren aus dem Dreck zu ziehen. Ein Tipp: Der Vegan-Trend gibt kleinen Betrieben lukrative Nischen. Metzgerei-Equipment geht auch gut mit Seitan und Veganer*innen zahlen zumindest wirklich gute Preise.

Der Soko Tierschutz wird unterstellt, dass sie den Konsumenten mit ihren Aktionen ganz gezielt den Genuss von Fleisch verderben will. Wie stehen Sie zu diesem Vorwurf?
Mülln: Unsere Filme zeigen die Realität in weiten Teilen der Industrie. Wenn diese Wahrheit so schrecklich ist, dass sich die Menschen abwenden, dann sollte man nicht auf den Überbringer der schlechten Nachricht zeigen, sondern nach innen blicken. Die Branche tut immer noch so, als wäre es immer wieder ein schwarzes Schaf, eine Ausnahme, Fake News der Tierschützer. So schafft sie sich selber ab und verliert auch das letzte Vertrauen.

Ihre Organisation wird oft beschuldigt, Bildsequenzen aus unterschiedlichen Betrieben bewusst zu mischen und Filme zusammenzuschneiden.
Mülln: Das ist ein beliebter Vorwurf, um von Skandalen abzulenken. Unsere Dokumentationen sind nach journalistischen Maßstäben erstellt und das verwendete Bildmaterial exakt im Bezug auf Orte gekennzeichnet. Erstaunlicherweise bleibt es bei Vorwürfen, bisher hat noch nie jemand juristische Schritte unternommen, da die Richter uns unzweifelhaft freisprechen würden. Wenn man beispielsweise über Biberach berichtet, muss man eben auch erwähnen, dass es vor zwei Monaten in Gärtringen ähnliche Probleme gab. Daran ist nichts verwerflich.

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Der Verein
Die Soko Tierschutz wurde im Jahr 2013 gegründet. Unser Interviewpartner Friedrich Mülln gehört zu den Gründern der Organisation mit Sitz in Augsburg. Seit 2017 blickt der Verein verstärkt auf Schlachthöfe. Bisher wurde Filmmaterial aus Betrieben in Fürstenfeldbruck, Düren, Eschweiler, Tauberbischofsheim, Bad Iburg, Düdenbüttel, Gärtringen und Biberach an der Riß veröffentlicht.

Weblink zur Soko Tierschutz:
www.soko-tierschutz.org/

Themenseiten zu diesem Artikel:
Tierschutz
www.fleischwirtschaft.de/suche…

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Gesendet: Mittwoch, 09. Dezember 2020 um 14:18 Uhr
Von: “Bernd Wolfgang Meyer” bernd-wolfgang.meyer@t-online….
Betreff: Interview Soko Tierschutz

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Übersandt von:
Martina Patterson (09.12.2020; 18:29 Uhr)
pattersonmatpatt@gmx.de

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Veröffentlicht von „der fellbeißer“© ( www.fellbeisser.net/news/ ) am 10.12.2020
twitter.com/fellbeisser

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