Uta Maria Jürgens
Elektronische Kopie meines Schreibens

New Haven, 10/26/2013

Sehr geehrter Herr Strelow,

wenngleich ich weit entfernt von der Ascheberger Heimat weile, derzeit für ein Jahr an der Yale University mein Doktorat vorbereite, verfolge ich mit Freude das Leben in meiner Kirchengemeinde. Diese Freude schlug in Fassungslosigkeit um, als ich von der nahenden Hubertusmesse in der Michaeliskirche erfuhr.

Als Christin nehme ich die Botschaft der christlichen Nächstenliebe sehr ernst. Als Ethologin und Naturfreundin stelle ich die uns aufgetragene Fürsorge für die Schöpfung in den Mittelpunkt meiner Arbeit und meines Lebens. Mit diesen beiden Positionen, der christlichen und der wissenschaftlichen, ist die Jagd in ihrer heutigen Form unvereinbar.
Wir haben heute empirische Belege für die ökologische Sinnlosigkeit des Jagdgeschäfts. Diese werden von der Jagdlobby leider ignoriert bis negiert und von den Medien, die sich starken Traditionen gegenüber oft als willfährig erweisen, weitestgehend nicht rezipiert. Ich habe Ihnen einige ausgewählte Quellen dazu am Ende meines Schreibens zusammengestellt.
Auf eine Formel gebracht: Die Jagd schafft die Probleme, die sie zu lösen vorgibt. Sie wird nurmehr als prestigereiches „Hobby“ aufrecht erhalten, wobei für leider nicht wenige Jäger und Jägerinnen offensichtlich der „Kampf“ gegen das Tier und die Lust am Töten und damit am Sieg den besonderen Reiz ausmachen.

Allerdings sprechen nicht nur die wissenschaftlichen Fakten, sondern maßgeblich auch das Wesen der christlichen Botschaft dagegen, der Jagdzunft den kirchlichen Segen zu verleihen. Ist nicht diese Botschaft die der Liebe, die der Zuwendung zu unseren „geringsten Brüdern“? Die evangelische Verheißung und das Beispiel Jesu haben immer auch diejenigen in die göttliche Liebe einbezogen, die derer von der damaligen Gesellschaft nicht als würdig erachtet wurden.
Heute werden mit den Testamenten glücklicherweise keine Kreuzzüge mehr begründet, keine Rassendiskriminierung reingewaschen, die Homosexualität nicht mehr verdammt und die Emanzipation der Frau gefördert statt verhindert. Der Begriff des „geringsten Bruders“ umfasst heute Menschen aller Kulturen und Geschlechter. Ich sehe es als die Aufgabe unserer Zeit, unsere nicht-menschlichen Mitgeschöpfe in die integrative Kraft der christlichen Liebe einzuschließen.

Tierwohl und Tierrechte sind heute einem weiten und wachsenden Teil der Gesellschaft integraler Bestandteil von Menschlichkeit. Eine große Mehrheit lehnt Jagd als Freizeitsport ab (GEWIS Studie 2002, EMNID 2003, 2004) Vordenker einer christlichen Tierethik erhalten starke und immer stärker werdende Unterstützung, beispielsweise das Institut für theologische Zoologie, die Aktion Kirche und Tiere oder das Oxford Center for Animal Ethics.

Christliche Liebe ist unbedingt. Sie umfängt, ohne Konditionen zu stellen. Warum sollte sie an der Artengrenze halt machen?
Selbstverständlich ist diese Liebe auch für Mörder, Kinderschänder und Henker offen. Und auch für Jäger. Aber einem auf das Töten ausgerichteten Handwerk oder gar Zeitvertreib muss sie ihren Segen nicht geben.

Warum kündigen Sie die Hubertusmesse in der Michaeliskirche im Kirchenboten mit „besonderer Freude“ an? Möchten Sie dieses (glücklicherweise!) seltene Schau(er)spiel gar als besonderes Ereignis für unsere Gemeinde verstanden wissen? Ist der Mitgliederschwund der Kirchen und die sonntägliche Leere im Gotteshaus so beängstigend, dass die christliche Gemeinde ihre Seele verkauft, um ein paar Neugierige anzulocken?
Sensationslustige mögen kommen. Aber Sie können sicher sein, dass all diejenigen, deren Liebe weiter als nur zur Artgrenze reicht, angesichts einer solchen Verkehrung der christlichen Botschaft der Institution Kirche traurig den Rücken kehren.

Ich frage mich, wie Jesus zu Hubertusmessen Stellung genommen hätte. Er hätte wohl in seiner unendlichen Langmut und Zuneigung zu allem Lebendigen Jäger und Gejagte umarmt.

Herr Strelow, ich möchte Sie eindringlich ersuchen, wenn schon ersteres, dann auch letzteres zu tun. Ich kann verstehen, wenn auch nicht gutheißen, dass Sie die Kreisjägerschaft nicht verprellen wollen und darum der Hubertusmesse in unserer Michaeliskirche zugestimmt haben. Aber bitte vergessen Sie den Teil der Gesellschaft nicht, der der Jagd kritisch gegenübersteht. Und seien Sie ehrlich zu ihrer Gemeinde, indem Sie in ihrer Predigt beiden Positionen Ausdruck geben.

Benennen Sie, dass es berechtigte Zweifel an Jagd und Jägerschaft gibt. Stellen Sie dar, dass die biblischen Texte eine deutliche Position zum Schutz unserer Mitgeschöpfe beziehen und damit maßgeblich auch dem Tierschutz Grund bereiten.

Ich möchte daher ganz konkret vorschlagen, eine Fürbitte für die durch die Jagd getöteten und betroffenen Tiere in die Hubertusmesse am 3. November einzugliedern. Ich biete Ihnen meine Mitarbeit dabei an, eine solche zu erarbeiten. Leider kann ich aufgrund meines Auslandsaufenthalts nicht physisch am Gottesdienst mitwirken. Aber auch auf die Distanz kann ich mich zumindest konzeptionell einbringen. Bitte lassen Sie mich wissen, ob und wie Sie sich das vorstellen können.

Ich freue mich darauf, von Ihnen zu hören. Per Email ( uta.jurgens@yale.edu ) bin ich durchgehend zu erreichen, gerne können wir auch ein Telefon-, bzw. Skypegespräch vereinbaren.

Bis dahin verbleibe ich mit besten Grüßen und guten Wünschen in die Heimat,

Uta Maria Jürgens
uta.jurgens@yale.edu

Anlage: Referenzen

Referenzen:

Wissenschaftliche Stellungnahmen zur Jagd:

Prof. Dr. Josef H. Reichholf, Vortrag vom 15.10.2013 an der Uni Basel: “Ein Jagdverbot in Basel: wissenschaftlich möglich und praktisch bewiesen. Warum es funktionieren kann. Die Theorie verständlich erklärt.”
via: www.youtube.com/watch?v=vOAufU…

Sabrina, S., Jean – Michel, G., Carole, T., Serge, B., & Eric, B. (2009). Pulsed resources and climate – induced variation in the reproductive traits of wild boar under high hunting pressure. Jnl of Animal Ecology, 78(6), 1278-1290.
Im Original via onlinelibrary.wiley.com/doi/10…
Zusammengefasst auf: www.wildtierschutz-deutschland…

Jagd intern

www.sauen.de
www.wildundhund.de/438,6871/fo…

www.forum.wildundhund.de/showt…

www.nimrods.de/Die-Jagd-unter-…

Referenzierte Institutionen

Aktion Kirche und Tiere:
www.aktion-kirche-und-tiere.de
www.aktion-kirche-und-tiere.ch

Institut für theologische Zoologie:
www.theologische-zoologie.de

Oxford Center for Animal Ethics
www.oxfordanimalethics.com

Gesendet: Samstag, 26. Oktober 2013 um 17:13 Uhr
Von: Uta Maria Jürgens uta.jurgens@yale.edu
An: edgar.guhde@web.de
Betreff: Hubertusmesse: Anschreiben Pastor

Hallo,

im Anhang mein Anschreiben an den Pastor meiner Heimat-Kirchengemeinde. Ich möchte ihn gerne als Vorlage für andere zur Verfügung stellen, daher bitte “verteilen”.

Herzliche Grüße aus New Haven, CT,

Uta Jürgens

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Übersandt von:

Martina Patterson (26.10.2013; 18:21 Uhr)
pattersonmatpatt@gmx.net

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Veröffentlicht von „der fellbeißer“© (www.fellbeisser.net/news/) am 26.10.2013
twitter.com/fellbeisser

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