Helmut F. Kaplan

Aus aktuellem Anlass möchte ich auf einige prinzipielle historische und philosophische Aspekte von Tierbefreiungen verweisen. Ich zitiere aus meinem Beitrag “Tierbefreiungen – Kriminelle Akte oder konsequente Ethik?“ im Sammelband “Tierrechte – Eine interdisziplinäre Herausforderung“ (Erlangen: Harald Fischer Verlag, 2007, S. 152 f.):

“In Bezug auf Tiere befinden wir uns heute in einer historischen Umbruchphase. Und diese manifestiert sich unter anderem in der Frage: Sind Tierbefreiungen moralisch legitim? Unsere aktuelle Situation in Bezug auf Tiere ist vergleichbar mit jener historischen Situation, als immer mehr Menschen erkannten, dass die Sklaverei moralisch nicht mehr zu halten war. Solche Umbruchphasen sind durch zweierlei gekennzeichnet: gesellschaftliche Gespaltenheit und rechtliche Unsicherheit. Warum? Weil vorhandene gesetzliche Bestimmungen neuen moralischen Vorstellungen und Forderungen hinterherhinken. Ein historisches Beispiel:

Im Jahr 1839 segelte vor der kubanischen Küste das Sklavenschiff „La Amistad“, weil die Sklaven an Bord auf Kuba noch etwas „aufgepäppelt“ werden sollten, bevor sie in die USA verkauft werden sollten. Da erlaubte sich der Schiffskoch einen üblen Scherz, indem er den Sklaven eröffnete: „Jetzt werden wir euch alle schlachten.“ Dies führte zu einem Aufstand der Sklaven, in dessen Verlauf diese die Besatzung und den Kapitän töteten. Die beiden Schiffseigner, die ebenfalls an Bord waren, wurden als Geiseln genommen und gezwungen, das Schiff nach Afrika zu führen. Sie tricksten die Sklaven aber aus und brachten stattdessen das Schiff nordwärts in einen US-Hafen. Dort wurden die Sklaven des Mordes angeklagt und den Rädelsführern drohte die Todesstrafe.

Aber: Gegner der Sklaverei, darunter der Ex-Präsident John Quincy Adams, erreichten, dass die Sklaven, die sich gewaltsam ihrer Peiniger entledigt hatten, nicht verurteilt, sondern freigesprochen wurden. Vor diesem Hintergrund muss auch alles gesehen werden, worüber heute unter der Überschrift „gewaltsame Tierbefreiungen“ berichtet wird! (…)

Wenn Tiere … moralische Rechte haben, dann sollten wir auch danach trachten, diesen Rechten Rechnung zu tragen, sie zu realisieren. Ein hierfür hilfreiches Konzept ist meines Erachtens das, was ich als aktionistischen Vorgriff auf künftiges Bewusstsein bezeichnen möchte. Was damit gemeint ist, sei anhand einer Aussage von Jürgen Habermas in Bezug auf Menschenrechte, genauer, in Bezug auf die Menschenrechtspolitik, veranschaulicht. Diese sei vielfach, so Habermas, „angesichts des unterinstitutionalisierten Weltbürgerrechts zum bloßen Vorgriff auf einen künftigen kosmopolitischen Zustand, den sie zugleich befördern will, genötigt.“ (Die Zeit, 18, 1999, S. 7)

“Hierbei spielt uns die mittlerweile sprichwörtliche ‚normative Kraft des Faktischen’ ([[Georg Jellinek]]) in die Hände: Fakten wohnt eine rechtswandelnde Wirkung inne. Ein Musterbeispiel hierfür … ist das Verhalten der DDR-Bevölkerung vor und beim Mauerfall.

Diese Dynamik gilt es auch bei der Realisierung von Tierrechten gezielt zu nutzen. Dies umso mehr, als die heutige Situation der Tiere welthistorisch einzigartig ist: Nie zuvor wurden so viele leidensfähige Wesen über eine so lange Zeit so massiv verfolgt, gequält und getötet.“

©?2007 by Harald Fischer Verlag

Der Verrat des Menschen an den Tieren (Vegi-Verlag, 2007)

www.tierrechte-kaplan.org

—————

Dr. Helmut F. Kaplan (23.05.2008; 09:12 Uhr)

kaplan@vegetarismus.org

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

wp-puzzle.com logo