Kopfschütteln und entsetzte Blicke meines bis dahin mit mir befreundeten Gegenübers im Zugabteil. Meine bissigen Bemerkungen angesichts des mit Fellmütze bekleideten jungen Mannes sind ihm unangenehm, auch wenn derjenige sie gar nicht hört, weil er mit Kopfhörern eingeschlafen in der Ecke kauert. Kurz bevor ich aussteige, wacht er auf. Ich drücke ihm eine Postkarte von www.gelabelt.de in die Hand, für die er sich höflich bedankt. Dass diese Postkarte Teil einer Aufklärungskampagne ist, scheint er, schläfrig, wie er noch ist, gar nicht zu bemerken. „Wer Pelz trägt, trägt den Tod“, steht mit großen Buchstaben auf der Vorderseite dieser Karte.
Den Nachhauseweg als auch meinen restlichen Abend verbringe ich grübelnd. Vor allem über das Wort Toleranz und wie weit die meine angesichts der mangelnden Einsicht meiner Mitmenschen und dem daraus resultierenden immensen Tierleid noch geht. Im Cyberspace forsche ich nach der wirklichen Bedeutung dieses Wortes. Toleranz wurde vom lateinischen Wort tolerare abgeleitet und bedeutete ursprünglich erdulden. Wohlgemerkt: Erdulden und nicht dulden. Die heutige Begrifflichkeit von Toleranz bezieht sich jedoch auf Duldsamkeit und Nachsichtigkeit. Ich beschließe das Wort Toleranz im Zusammenhang mit fleischessenden Konsumenten und Pelzträgern aus meinem Wortschatz zu streichen und ersetze es durch das Wort Erdulden.
„Die Dinge brauchen ihre Zeit, ihre Entwicklung. Es sind halt noch nicht alle Menschen bereit, kein Fleisch mehr zu essen. Nach all den Fleischskandalen in jüngster Zeit werden aber sicher wieder ein paar mehr zum Flexitarier, Vegetarier oder Veganer.“ So ähnlich argumentierte mein Mitfahrer im Zug bei unserer anschließenden Diskussion.
Doch wie viel Zeit haben wir noch? Können wir es uns leisten, weiter tolerant zu sein, angesichts der dramatischen Situation in der Massentierhaltung und den damit im Zusammenhang stehenden anhaltenden Hungersnöten in den Entwicklungsländern? Toleranz für die Futtermittelindustrie bei der Abholzung von Regenwäldern? Toleranz für die Konzerne oder Großbauern der qualvollen Massentierbetriebe und der damit einhergehenden Übersäuerung der Böden und zwangsläufigen Verunreinigung des Grundwassers? Toleranz für nicht-nachdenkende Pelzträger bei jährlich 50 Millionen Tieren, die weltweit für die Pelzindustrie getötet werden? Kann ich gegenüber der Uneinsichtigkeit einer noch immer zum Großteil fleischessenden Bevölkerung tolerant sein? Diese Toleranz bedeutet unter dem Strich knapp 100.000 getötete Tiere pro Minute – 50 Milliarden – weltweit – jedes Jahr.
Was das Martyrium der Tiere betrifft, ihr Erdulden, als auch die verheerenden Konsequenzen für unseren Planeten, haben wir keine Zeit mehr für Toleranz.

www.danielaböhm.com

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