Helmut F. Kaplan

Über die psychologische Sinnhaftigkeit des Verdrängens in bestimmten Situationen lässt sich bekanntlich trefflich streiten. (Ich verwende “Verdrängen“ hier in seiner alltagssprachlichen, psychoanalytisch falschen Bedeutung: etwas willentlich aus seinem Bewusstsein verbannen.) Die moralische Wertigkeit des Verdrängens lässt sich hingegen vergleichsweise einfach bestimmen. Dazu vier Beispiele:
1) Wenn ich versuche, meinen “Liebeskummer“ zu verdrängen, damit ich weniger leide, so klappt dies oder es klappt nicht, aber moralisch ist es neutral.
2) Wenn ich verdränge, dass ich jemanden verletzt habe, um mir damit ein schlechtes Gewissen oder eine Entschuldigung zu ersparen, so ist dies moralisch nicht mehr neutral.
3) Und wenn ich verdränge, welches Tierleid mein Fleischessen verursacht, so ist dies ebenfalls moralisch keineswegs neutral, sondern im Gegenteil moralisch höchst bedenklich.
4) Wenn ich aber andererseits als Tierrechtler das Tierleiden, mit dem ich täglich konfrontiert werde, soweit verdränge, dass ich effektiv weiterarbeiten kann – um eben dieses Tierleid zu verringern -, so ist dies moralisch nicht nur unbedenklich, sondern sogar höchst wünschenswert.

Verdrängen geht übrigens häufig einher mit Kommunikationsverweigerung: Um mir beispielsweise ein unangenehmes Gespräch zu ersparen, verdränge ich das betreffende Problem. Das “Beruhigende“ oder “Gerechte“, wenn man so will, an solcher Kommunikationsverweigerung ist, dass sie immer auch denjenigen trifft bzw. “bestraft“, der die Kommunikation verweigert. Ich habe es privat wiederholt erlebt, dass die Kommunikationsverweigerung für den “Verweigerer“ schlicht katastrophale Folgen hatte.

Natürlich können auch die Folgen für den, dem die Kommunikation verweigert wird, verheerend sein. Ohne Übertreibung lässt sich sagen: Kommunikationsverweigerung bzw. Schweigen laufen häufig auf nicht weniger als Mord oder Selbstmord hinaus. Eine treffende Veranschaulichung hierzu liefert, was jüngst über Jürgen Habermas´ Welt- und Geschichtsbild in der “Zeit“ (25, 2009, S. 51) zu lesen war: “Das Medium der Selbstzivilisierung ist die menschliche Sprache … Kommunikation unterbricht den Kriegszustand der Welt.“

Zurück zur Verdrängung. Auch sie kann, wie Kommunikationsverweigerung bzw. Schweigen, verheerende Folgen haben, wenngleich dies – siehe obige Beispiele – keineswegs der Fall sein muss. Deshalb sollten wir uns beim Verdrängen grundsätzlich darüber Rechenschaft ablegen, warum wir verdrängen: Wollen wir uns nur selber entlasten? Wollen wir uns auf Kosten anderer entlasten? Oder wollen wir anderen helfen?

Verdrängen ist ein ebenso lebensnotwendiger wie lebensbedrohlicher Vorgang: Ohne zu verdrängen, dass wir jederzeit sterben oder lebensgefährlich erkranken können, können wir praktisch nicht leben. Und das Verdrängen fremden Leidens im Allgemeinen und fremden Leidens, das wir verursachen, im Besonderen, ist die Quelle immenser Übel auf der Welt. Verdrängen ist also ein sehr effizientes Instrument, mit dem wir im Extremfall töten oder Leben retten. Daher ist es für ein verantwortungsvolles Handeln unverzichtbar, sich immer zu fragen: Warum verdränge ich?

Copyright: Helmut F. Kaplan

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Dr. Helmut F. Kaplan (05.07.2009; 15:52 Uhr)
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