Helmut F. Kaplan

Bei vielen Berufen gibt es Dinge, die man auf keinen Fall sagen darf, Aussagen, mit denen man sich quasi das eigene Grab schaufelt. Etwa, wenn ein Poltiker sagt, daß er seine Wähler für Idioten hält oder ein Arzt bekennt, daß ihm die Gesundheit seiner Patienten egal ist. Beim „Beruf“ Tierschützer oder Tierrechtler besteht diese „Todsünde“ im Bekenntnis: Mir sind die Tiere lieber als die Menschen. Im folgenden möchte ich zeigen, daß diese Aussage durchaus sachlich berechtigt sein kann – ganz abgesehen davon, daß jeder, sollte man meinen, sympathisch finden darf, wen er will.

Die übliche allgemeine und automatische Empörung über die Aussage, daß einem Tiere lieber als Menschen seien, ist sachlich schon deshalb unsinnig, weil es ja durchaus so sein könnte, daß der „Bekanntenkreis“ des Betreffenden eben aus „besonders sympathischen Tieren“ und „besonders unsympathischen Menschen“ besteht – kein Mensch kennt schließlich alle Tiere und alle Menschen. Freilich hat die hysterische allgemeine Empörung über jemandes Aussage, ihm seien die Tiere lieber als die Menschen, schon ihre Berechtigung. Es wird nämlich als ganz selbstverständlich unterstellt, daß JEDER MENSCH moralisch wertvoller sei als JEDES TIER, daß auch der „schlechteste Mensch“ noch viel wertvoller sei als das „beste Tier“.

Nun sollte es bei so starken Behauptungen schon erlaubt sein, nach Gründen zu fragen. Wer dies allerdings hier tut, wird feststellen, daß man Begründungen in dieser Frage nicht nur für unnötig hält, sondern schon das bloße Fragen nach Gründen als quasi unsittlich betrachtet. Mehr noch: Nach Gründen für die menschliche Höherwertigkeit zu fragen, wird geradezu als gefährlicher Angriff auf die Gesellschaft angesehen – oder als Zeichen völliger geistiger Verwirrtheit.

Läßt man sich gnadenhalber und widerwillig dann doch zu Begründungen herbei, bestehen diese meist aus Verweisen auf dubiose Glaubenssätze wie etwa die von der Gottesebenbildlichkeit oder unsterblichen Seele des Menschen. Daß SOLCHE Begründungen außerhalb kirchlicher Räume in pluralistischen, säkularen Gesellschaften kein Gewicht haben, sollte nicht weiter erläutert werden müssen.

Betrachten wir schließlich mögliche faktische Gründe für die allgemeine moralische Höherwertigkeit des Menschen, kommen wir rasch zum Ergebnis: Es gibt keine. Denn kein Merkmal, das von irgendjemandem als moralisch relevant angesehen wird – etwa Bewußtsein, Selbstbewußtsein, Rationalität oder Autonomie -, verläuft entlang der Speziesgrenze Menschen – Tiere. Mehr noch: Bei vielen Menschen sind diese Merkmale SCHWÄCHER ausgeprägt als bei vielen Tieren, viele geistig behinderte oder senile Menschen und alle kleinen Kinder befinden sich auf einem deutlich niedrigeren Niveau als viele Tiere.

Abgesehen davon, daß man, wie gesagt, eigentlich lieber mögen dürfen sollte, wen man will und warum man will, kann es also durchaus auch sachliche, „objektive“ Gründe für das Liebermögen von Tieren geben. Etwa, wenn man einen intelligenten, unternehmungslustigen, treuen Hund lieber mag als einen völlig apathischen vor sich hindämmernden Senilen.

Schließlich werden selbst eingefleischte Menschen-Fans einräumen, daß es auch viele üble Vertreter ihrer Spezies gibt. Ganz abgesehen von Hitler, Stalin & Co kennt jeder aus eigener Erfahrung Zeitgenossen, die er weniger mag – und bei denen es dafür gute Gründe gibt. Müssen uns wirklich alle Egoisten, Lügner, Verräter und Verbrecher lieber sein als jedes Tier?

„Aber Menschen sind moralfähig, sie können zwischen Gut und Böse unterscheiden!“ Erstens ist auch die Moralfähigkeit kein Merkmal, daß nur bei Menschen (geschweige denn bei allen) und bei keinen Tieren anzutreffen wäre. Zweitens gibt es Menschen, bei denen die Moralfähigkeit weniger ausgeprägt ist als bei manchen Tieren. Und drittens ist die bloße Fähigkeit, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, ja noch kein Verdienst. Verdient macht sich jemand erst, wenn er diese Fähigkeit auch positiv nützt, sprich: sich für das Gute entscheidet. Andererseits beinhaltet die Moralfähigkeit die Gefahr, moralisch zu scheitern, sprich: sich für das Böse zu entscheiden.

Nun ist es wohl nicht völlig unsinnig oder unverständlich, wenn einem jemand, der sich jenseits der Kategorien Gut und Böse befindet, lieber ist als jemand, der zwischen Gut und Böse wählen kann, sich aber für das Böse entscheidet. Daß letzteres beim Menschen keine Seltenheit ist, wird niemand bei Sinnen bezweifeln.

© Helmut F. Kaplan

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Helmut Kaplan (05.12.2010; 16:31 Uhr)
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