Helmut F. Kaplan

Ingolf Bossenz, der mit mir das jüngste Interview für das “Neue Deutschland“ gemacht hatte, hat mir folgende „lustige“ Tiermeldung zugesandt (wobei die Qualifizierung “lustig“ nicht seiner Bewertung entspricht!):

“Schaf flüchtet vor Schlachter – vergeblich

Siegen (dpa) – Ein vom Gelände eines Schlachthofes ausgebüxtes Schaf hat am Mittwoch in Siegen für Aufregung gesorgt. Zuerst war das Tier auf einer Bahnlinie unterwegs, überquerte dann eine mehrspurige Schnellstraße und landete schließlich auf dem Gelände eines ehemaligen Baumarktes.

Als das Schaf von Polizisten „eingekesselt“ wurde, stieg es über eine Böschung auf das Dach eines Anbaus. Dort konnte der Besitzer nach Auskunft der Polizei das Tier einfangen. Durch die Flucht hatte es seinen Tod nur um eine Stunde hinausgezögert.“

Diese “lustige“ Geschichte – in den “Salzburger Nachrichten“ würde sie unter der Rubrik “Verrückt“ abgedruckt werden – halte ich aus folgendem Grund für sehr interessant: Ich habe bereits mehrere ganz ähnliche Berichte in meinen Unterlagen. Aber bis jetzt dachte ich, dass es sich dabei um so etwas wie eine Spezialität des europäischen Steinzeitreservats, in dem ich lebe, handelt, also um eine Spezialität des katholisch-alpenländischen Raumes von Salzburg, Bayern und Tirol mit seiner so typischen widerlichen Kombination aus Dumpfheit, Verlogenheit und Heuchelei.

Nun muss ich erkennen, dass es sich hier quasi um ein universelles Muster handelt, um ein geradezu archetypisches Reaktionsmuster auf den täglichen Tier-Holocaust. Die konstanten Ingredienzen dieser “lustigen“ oder “verrückten“ Geschichten sind: die irgendwie abenteuerliche Flucht des zum Tode verurteilten Tieres, dessen “pfiffige“ Verfolgung – und die um keinerlei Tarnung bemühte sadistische Schadenfreude über den tödlichen Ausgang des verzweifelten Fluchtversuchs.

Die Tatsache, dass solche ungeheuerlichen Berichte laufend in der Zeitung stehen, ist ein dermaßen fundamentaler und facettenreicher Skandal, dass ich mich außerstande sehe, ihn angemessen zu bewerten.

Fest steht allerdings offenkundig, dass solche Berichte bei Lesern praktisch nie auf besondere Kritik oder Ablehnung stoßen. Vielmehr deutet alles darauf hin, dass diese Meldungen wie andere Meldungen über “verrückte“ Ereignisse als willkommene Zerstreuung am Frühstückstisch betrachtet werden.

Und solange diese Art von Frieden am Frühstückstisch herrscht, haben Befreiung und Freiheit der Tiere keine Chance. Deshalb zählt es zu den wichtigsten Aufgaben aller, die dem täglichen Holocaust gegen Tiere ein Ende bereiten wollen, diesen Frieden am Frühstückstisch so rasch und massiv wie möglich zu stören.

Diese zynisch-verharmlosenden und verdummenden Berichte lassen sich vorerst zwar nicht verhindern. Aber ein effizientes Kontrastprogramm lässt sich erzwingen – Meldungen über Ereignisse, die so eindeutig sind, dass sie sich nicht auf diese Weise verfälschen lassen: Berichte über Blockaden von Tier-Todes-Transporten, Bilder von Protestdemonstrationen vor Schlachthöfen oder Versuchslabors, die Besprechung eines Tierrechtsbuches, das Interview mit einem Tierrechtsphilosophen und vieles andere mehr. Kurz: Alles, was sowieso auf dem Programm der Tierrechtsbewegung steht.

Entscheidend ist, dass möglichst viele Menschen mit solchen Aktivitäten ein so großes Aufsehen erregen, dass davon berichtet werden MUSS. Unruhe, Aufmerksamkeit und Irritation sind hier Werte an sich. Erst auf dieser Grundlage können inhaltliche Ziele und politische Forderungen sinnvoll formuliert werden. Und ein solches Klima wird auch den “lustigen“ Tiermeldungen sukzessive den Boden entziehen. Aus Einsicht oder Angst? Egal – Hauptsache, die Gesellschaft macht Schritte in Richtung Realisierung von Tierrechten!

Copyright: Helmut F. Kaplan

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Wer Mitglied werden will, schreibe bitte eine Mail an kaplan@vegetarismus.org mit dem Betreff “Bitte einladen“.

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Dr. Helmut F. Kaplan (18.02.2007; 10:10 Uhr)

kaplan@vegetarismus.org

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