An Herrn Prof. Dr. Christian Heckel, Vorsitzender des Rechtsausschusses der württembergischen Landessynode

In Kopie: Prof. Dr. Ulrich Heckel; Dezernat 1
Theologie, Gemeinde und weltweite Kirche

Sehr geehrter Herr Vorsitzender des Rechtsausschusses der württembergischen Landessynode und Präsident des Verwaltungsgerichts Sigmaringen Professor Dr. Christian Heckel,

ich bin Mitglied der evangelischen Landeskirche Baden-Württemberg und möchte Ihnen vor dem neuen Jahr 2020 noch in Ihrer Eigenschaft als Vorsitzender des Rechtsausschusses der württembergischen Landessynode folgendes mitteilen:

Mit Entsetzen habe ich vom Eilentscheid des Verwaltungsgerichtes Sigmaringen bezüglich der Erlaubnis von 149 nicht abgesetzten (!) Kälbern zum Transport von Bad Waldsee nach Spanien erfahren. Die Organisation Animal Welfare Foundation (AWF) hat seit 2015 mehrfach dokumentiert, dass die gesetzlich verlangte Versorgung bei Kälbertransporten nicht durchgeführt wird. Das Gericht in Sigmaringen missachtet in dieser Hinsicht Artikel 3 der EU-Tierschutztransportverordnung. Als Präsident des Verwaltungsgerichts Sigmaringen und als Vorsitzender des Rechtsausschusses der württembergischen Landessynode, bzw. als Christ, stehen Sie sozusagen in doppelter Hinsicht in der Verantwortung. Zum äußerst bedenkenswerten rechtlichen Aspekt möchte ich Ihnen gerne das offene Schreiben von AWF an Frau Bundesministerin Julia Klöckner zukommen lassen (siehe Anhang). Das Schreiben spricht, was den juristischen Aspekt anbelangt, für sich und ich hoffe, dass es zu keinen weiteren Kälbertransporten mehr kommt.

Aber ganz abgesehen vom juristischen Aspekt möchte ich mich als (noch) Mitglied der Evangelischen Kirche Baden-Württemberg an Sie wenden:

Hoffnung machte mir im September 2019 der EKD-Text 133 „Nutztier und Mitgeschöpf! Tierwohl, Ernährungsethik und Nachhaltigkeit aus evangelischer Sicht”. Die Kernforderungen im EKD Text 133 sind u.a. (S. 128 ff): Eine umfassende Strategie zur Verbesserung der Situation der Nutztierhaltung in Deutschland; die Beendigung von Lebendtiertransporten in das außereuropäische Ausland; die Verankerung von Tierwohlzielen und Tierwohlmaßnahmen bei der Neuausrichtung der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik (GAP). Hinsichtlich ihrer Kernforderungen möchte die Ev. Kirche als „Mahner, Mittler und Motor gemeinsam mit vielen zivilgesellschaftlichen Partnern zum kulturellen Transformationsprozess in Richtung einer nachhaltigen Nutztierethik und eines maßvollen Fleischkonsums beitragen…” (S. 134 ebenda) Desweiteren steht auf S. 134: „Die Achtung der Würde des Tieres als Mitgeschöpf und eine Ethik des Genug, die tief in der christlichen Tradition verwurzelt sind, begründen das Engagement der evangelischen Kirche für eine nachhaltige Nutztierethik…”.

Das Impulspapier will offensichtlich – und erfreulicherweise – einen breiten Diskurs zwischen Verbrauchern, Landwirten, Agrarindustrie und Entscheidungsträgern auf allen politischen Ebenen – und demnach auch auf der Ebene der Justiz – anstoßen. Es ist wünschenswert, dass in diesem Diskurs stärker auch die Missstände und Verstöße gegen geltendes Tierschutzgesetz thematisiert werden und die Gerichte dementsprechend kritisch und verantwortungsvoll bei Verstößen gegen Tierrechte und Tierwohl für die Tiere im positiven Sinne entscheiden.

Denn: Was wurde aus den 149 nicht abgesetzten Kälbern, die das Gericht in Sigmaringen auf den Transport schickte? Wissen Sie es? Auf diesen grausamen Transporten leiden diese Tierkleinstkinder auf entsetzlich grausame Weise Durst, Hunger und Schmerzen. Sehr viele von ihnen sterben elend bereits auf dem Transport, die anderen sterben am Zielort einen furchtbaren Tod.

Wie kaltblütig ist unsere Rechtsprechung, unsere Politik? Von der Agrarindustrie ganz zu schweigen. Und was tun die Kirchen? Ergreifen sie öffentlich Partei für diese geschundenen, gefolterten, gequälten sogenannten „Nutztiere”? Es gibt diesen begrüßenswerten EKD -Text 133, sicher, aber mit welchen wirksamen Konsequenzen? Was spüren die Tiere tatsächlich davon? Was haben diese Tiere tatsächlich von diesen gutgemeinten Worten des EKD-Textes 133?

Ich habe noch von keiner Kanzel herunter, noch vor keinem Altar weder Fürsprache oder Fürbitten für diese geschundenen Kreaturen Gottes noch gar mitfühlende Worte von Pfarrer*innen zum grausamen Schicksal dieser Tiere gehört. Das lässt mich an meiner (?) evangelischen Kirche schon seit langer Zeit sehr zweifeln. Hat der Jurist Herr Prof. Jens Bülte recht, wenn er von der „institutionalisierten Agrarkriminalität” spricht? Offensichtlich.

In meinen Augen ist es ein Verbrechen, was hierzulande und auf Tiertransporten millionenfach an diesen unschuldigen Tieren geschieht, die sich nicht wehren können und einzig und alleine auf uns Menschen als Fürsprecher angewiesen sind (von den Verbrechen in der industriellen Tierhaltung und bei der Schlachtung ganz zu schweigen).

Franziskus von Assisi hat seinerzeit schon erkannt, was die heutige Tierverhaltensforschung belegt: „Alle Geschöpfe der Erde fühlen wie wir, alle Geschöpfe streben nach Glück wie wir. Alle Geschöpfe der Erde lieben, leiden und sterben wie wir, also sind sie uns gleich gestellte Werke des allmächtigen Schöpfers – unsere Brüder.”

Interessant sind die Ausführungen von Herrn Prof. Dr. theol. Erich Grässer, einst Ordinarius für Neues Testament an der Universität Bonn:

· Tierschutz ist kein Anlass zur Freude, sondern eine Aufforderung, sich zu schämen, dass wir ihn überhaupt brauchen.

· Diese Scham wird von den christlichen Kirchen nicht geteilt. Diese unsere christliche Gesellschaft in diesem unserem christlichen Abendland lebt in einer beispiellosen Ehrfurchtslosigkeit vor der Schöpfung.

· Die Würde des Menschen, diesem hohen Verfassungsgut, dessen Unantastbarkeit unsere Politiker so gerne betonen, schlägt die gigantische industrialisierte Massentierquälerei brutal ins Gesicht. Es ist kein Zeichen von Menschenwürde, schwächere Lebewesen auszubeuten und zu quälen.

· Tiere sind schwach. Wenn wir ihre Schwäche ausnutzen, wenn wir mit ihrem unnötigen Leiden und mit ihrem unnötigen Sterben unseren Wohlstand und unseren Luxus mehren, wenn wir für jeden beliebigen Nutzen jedes beliebige Tieropfer fordern, dann haben wir unsere Menschenwürde verspielt und verdienen es nicht, eine sittliche Rechtsgemeinschaft genannt zu werden.

· Und so, wie die Kirchen im 19. Jahrhundert bei der sozialen Frage versagten, und die Arbeiter aus der Kirche heraustrieben, so versagen sie heute im Tier- und Naturschutz und treiben die Tierschützer aus der Kirche heraus. Denn für Tierschutz hält sich die Kirche nicht für zuständig. Kirche sei für die Menschen da.

Woher kommt diese Tiervergessenheit in der Kirche? Nun, es liegt daran, dass die Ethik, die theologische wie die philosophische, meint, sie habe es nur mit dem Verhalten des Menschen zum Menschen und zur Gesellschaft zu tun. Das von Albert Schweitzer gewählte Bild ist deutlich: “Wie die Hausfrau, die die Stube gescheuert hat, Sorge trägt, dass die Türe zu ist, damit ja der Hund nicht herein komme und das getane Werk durch die Spuren seiner Pfoten entstelle, also wachen die europäischen Denker darüber, dass ihnen keine Tiere in der Ethik herumlaufen.”

Das anthropozentrische Weltbild der Kirche muss endlich korrigiert werden.

Schließen möchte ich mein Schreiben mit dem trefflichen Zitat des von mir hoch verehrten Prof. Dr. Erich Grässer:

Was wir heute erleben, ist ein mit dem Rechenstift ausgeklügeltes schreckliches Höllenspiel, in dem wir unsere Nutztiere in der Massentierhaltung zu Tiermaschinen herabstufen. Die Übermenge an Eiern, Fleisch und Butter, die die westlichen Wohlstandsgesellschaften auf diese Weise produzieren, ist mit menschenunwürdiger Tierquälerei bezahlt. Gegenüber dieser überall straflos praktizierten Ungeheuerlichkeit liest sich Albert Schweitzers Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben wie eine Botschaft von einem anderen Stern. Und eine Kirche, die zu dem allem schweigt, erklärt damit den Bankrott ihrer Barmherzigkeitspredigt!

Ihnen wünsche ich ein gesundes, gesegnetes Neues Jahr 2020.

Ebenfalls wünsche ich besonders allen geschundenen Tieren in der Agrarindustrie, dass sie endlich die Barmherzigkeit und Fürsorge, für die die Kirche stehen sollte, spüren werden.

Auch wünsche ich 2020 diesen Tieren mehr Menschen, die sich für Ihre Recht auf ein Leben ohne Angst, Schmerzen, Hunger, Durst, Qual und Folter einsetzen – besonders auch in der Justiz.

Mit freundlichen Grüßen und in christlicher Verantwortung,

Gez. Susanne Kirn-Egeler, Mitglied der Evangelischen Kirche Baden-Württemberg
Diplom-Pädagogin

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Betreff: Brief eines Mitglieds der Ev. Kirche zu den Kälbertransporten ab Bad Waldsee
Datum: 29.12.2019 um 17:30 Uhr
Von: Susanne Kirn-Egeler
An: Christian.Heckel@synode.elkw.d…, dezernat1@elk-wue.de

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Übersandt von:
Martina Patterson (30.12.2019; 11:10 Uhr)
pattersonmatpatt@gmx.net

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Veröffentlicht von „der fellbeißer“© ( www.fellbeisser.net/news/ ) am 30.12.2019
twitter.com/fellbeisser

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