Für den, der schon einmal selbst in einem Versuchslabor war, wird das, was ich hier schreibe, nichts Neues sein. Es wird höchstens alte Wunden aufreißen, die vielleicht mit der Zeit verwachsen, aber niemals wirklich heilen können. Ich dachte immer, ich habe alles an schrecklichen Bildern gesehen, was man in diesem Rahmen sehen kann: an Elektroden angeschlossene Affen. Humpelnde Hunde, deren Hinterläufe versagen. Halbtote Katzen. Aufgeschnittene Ratten. Als Tierschützer sieht man viele schlimme Bilder – sei es in Filmen, im Fernsehen, in Zeitschriften, Büchern. Entsetzen, unendliche Trauer und Wut flammen jedes Mal aufs Neue auf, aber irgendwann glaubt man, alle Grausamkeiten zu denen der Mensch fähig ist, schon einmal in irgendeiner Form erblickt zu haben. Aber das ist ein Trugschluss.

Ein schrecklicher Trugschluss, der spätestens an dem Tag aufgedeckt wird, an dem man selbst einmal in einem Versuchslabor gestanden ist. Spätestens an dem Tag, an dem Bilder der Realität zu gelebter Realität werden. Ich möchte hier nicht mit einer weiteren der schon so alltäglich gewordenen Beschreibungen des Inneren eines Versuchslabor kommen. Es würde nichts nützen. Entweder stand man schon einmal in einem Labor und hat mit jeder Faser seines Körpers (und nicht nur mit den Augen, die sich so wunderbar verschließen lassen) die institutionalisierte Hoffnungslosigkeit eines solchen Ortes wahrgenommen oder es ist einem bisher erspart geblieben.

Entweder man hat schon einmal unter dem alles durchdringendem Neonlicht die stickige Hitze gespürt, den Geruch von Angst, verbranntem Fleisch und Desinfizierungsmitteln gerochen oder nicht. Entweder oder. Ein dazwischen gibt es nicht. Beschreibungen können die Atmosphäre und die Momente der lähmenden Angst und Ohnmacht, die Momente in denen es keine Hass und keine Wut gibt, nicht wiedergeben. Die Institution „Versuchlabor“ wird zu allem. Sie ist alles, sie ist die Realität, umgibt einen vollständig. Das Denken blockiert sich, nur Wahrnehmen und Fühlen sind möglich. Entweder man hat das erlebt und ein Versuchslabor als anderer Mensch verlassen, als man es betreten hat, oder nicht.

Ich war in dem Tierversuchslabor der Universität Heidelberg. Und, wie gesagt, möchte ich mit keiner Aufzählung oder Beschreibung der Dinge, die ich dort gesehen – gefühlt – habe, aufwarten. Um was es mir hier geht, ist es, die Respektlosigkeit zu benennen. Hier meine ich nicht die Respektlosigkeit, die jeder Wissenschaftler, der Tierversuche durchführt, mitbringen muss, um im Stande zu sein, sein Forscherinteresse über das Leben eines Wesen zu stellen. Ich meine eine Respektlosigkeit, die aus Mitleidlosigkeit, Gleichgültigkeit und dem verdrängten Wissen, dass das, was man tut, Unrecht ist, entsteht.

Schon am Eingang des Versuchslabors findet sich eine Spalte am Schwarzen Brett, die nur Witze und Comics enthält. Beispielsweise die Zeichnung eines Mannes, der zu seinem Stiefsohn sagt: „Du musst mich nicht als deinen Vater ansehen, betrachte mich einfach als den Mann, der mit deiner Mutter schläft.“ Und so zieht es sich durch das ganze Gebäude. An den Türen, in den Büros, vor dem Gruppenraum. Überall Bilder, Sprüche, Comics. Im Büro eines jungen Mitarbeiters, die Auflistung all der Eigenschaften, die Männer an Frauen hassen: „Weinen“ ist hierbei nur ein Beispiel. Über der Tür, die zu den Käfigen der Kaninchen führt, eine schöne Zeichnung eines Kaninchens mit grünem Gras als Hintergrund. Auf dem Schild vor dem Gruppen-, bzw. Pausen- oder Frühstücksraum dann prangt ein Sticker. Ein rosa, wohlgenährtes, glücklich lachendes Schweinchen, das sich in Wonne auf den Rücken rollt, und darüber der Spruch „Wir fühlen uns sauwohl!“.

Keine zwei Türen weiter sitzen die Schweine, gemeinsam mit den Schafen und Hunden, in ihren Käfigen und warten. Kein Gras wie auf dem Kaninchenbild, kein glückliches Sich-Wohlfühlen, keine Witze, kein Lachen. Nur der alles einlullende Geruch, nur Kacheln und Metall, nur Schmerz, Leid und Einsamkeit. Nur kalte Menschen, die mit grausamer Sorgfalt ihrer Arbeit nachgehen. Was die Bilder zeigen? Was es bedeutet, dass Menschen Mitwesen quälen, sie ihres Lebens und ihres Sinns berauben und dann noch Witze reißen? Gerne würde ich es Sadismus nennen. Aber das reicht als Erklärung nicht aus. Der Grund für diese bunten Bilder, diese flapsigen Sprüche, die einen durch die unbeschreiblichen Gänge dieses Labors begleiten, ist vielmehr das vergrabene und sehr, sehr gut zurückgedrängte Wissen, dass es falsch ist. Dass es Unrecht ist. Dass das eigene Verhalten falsch ist.

Wozu sonst bräuchte man all diese gezwungene Lustigkeit, die jedem anderen Menschen, die Kehle zuschürt, als dazu sich selbst und sein Gewissen von der Tristesse und Grausamkeit dieser Umgebung abzulenken. Um sich weiß zu machen, dass alles irgendwie in Ordnung ist, um ein Schmunzeln beim Lesen aufkommen zu lassen. Um die Tiere nicht als die einsamen und gequälten Seelen zu sehen, die sie durch ihre Forscherhände sind. Um sich selbst nicht als die verkauften Seelen zu sehen, die sie durch ihre Tätigkeit sind. Um Lachen zu können. Und ich kann dieses Lachen förmlich vor meinen Augen sehen, kann es hören, wie es leise durch die leeren Gänge halt, wie es krampfhaft versucht der Hoffnungslosigkeit dieses Ortes ein anderes Gesicht zu geben. Es wird nie gelingen. Kein noch so lautes Lachen, kein noch so komischer Spruch, kein noch so romantisches Bild können jemals das Leid dieses Ortes vergehen lassen. Dieses Leid wird niemals vergehen. Wenn auch die Tiere sterben, täglich und im eisigen Akkord, wenn selbst der Tag kommen sollte, an dem das Labor keine Tiere mehr hinrichtet, wenn selbst die Forscher sich eines Tages zur Ruhe setzen oder den Beruf wechseln – das Leid, das in diesen Räumen, in dieser Zeit ausgestanden wurde, es wird nie vergehen.

Zwar werden die Hunde, Mäuse, Schafe, Schweine, Kaninchen und Ratten es nicht mehr mit sich tragen, da sie – wenn schon nicht im Leben durch mutige Menschen, dann doch durch den Tod – vom Leid befreit sind. Aber es wird den Menschen anhaften. All denjenigen, die Tag für Tag dieses Gebäude betreten, ihre weißen Kittel überstreifen und töten. All denjenigen, die heute noch über die lustigen Sprüche an den Wänden und Türen des Heidelberger Versuchslabors lachen. Sie mögen sich jetzt noch glauben machen, dass sie sich „sauwohl“ fühlen, doch auch sie werden eines Tages ihr verdrängtes Wissen um das Unrecht ihrer Taten nicht mehr leugnen können. Das Leid der Tiere und ihr unterdrücktes Gewissen werden eines Tages aufkommen und sie einholen.

Verfasser: Unbekannt

„Bestellformular“ für Versuchs-Delinquenten (Original)

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