Leserbrief an:
Thüringer Allgemeine
99092 E r f u r t
Gottstedter Landstraße 6

per E-Mail an:
leserbriefe@thueringer-allgeme…
gotha@thueringer-allgemeine.de
per Telefax an: (0361) 22 75 144

Gotha, den 09.09.2017

Es geht um das Wildtier Wolf und wie wir mit ihm leben können

Sehr geehrte Damen und Herren,

nachdem nun bereits seit Monaten sehr viele Menschen sich teils vor der Anwesenheit des Wolfes gefürchtet – teils sich über sie gefreut haben – und gleichsam ebenfalls sehr viel Unsinn von und über den Wolf berichtet worden ist, möchten wir aus unserer Sich einiges klarstellen, damit die Zeitungsleser endlich ein objektives Bild vom Wildtier “Wolf” und unserem Land erhalten, was ihnen bisher in den unterschiedlichsten Varianten geschildert, jedoch dringendst ojektiviert werden muß.

Darum bitten wir die Redaktion, nachfolgenden Leserbrief möglichst unverändert und ungekürzt zu veröffentlichen.

M.f.G. Harald von Fehr

—–

Die Rückkehr der Wölfe nach Deutschland

Jedem, der sich etwas intensiver mit dem Wildtier “Wolf” befaßt hat, wird der Name Ulrich Wotschikowsky ein Begriff sein. Er ist studierter Förster, Wildbiologe und neben vielen anderen positiven Eigenschaften, absoluter Wolfsexperte. Alles was er sagt und wovon er spricht ist objektiv und sollte auch von den letzten Zweiflern erhört werden!

So existiert u.a. die Vorstellung, daß der Wolf in Deutschland zur falschen Zeit am falschen Ort sei, daß also Canis lupus nicht in die dichtbesiedelte und intensiv genutzte Kulturlandschaft der Gegenwart gehöre. Dieser Gedanke durchzieht den gesamten hoch emotionalen Streit um den Wolf.

Der Wolf kehre in ein Land zurück, dessen ehemalige Naturräume sich seit seiner Ausrottung weiter in Richtung Kulturlandschaft gewandelt haben.

Selbst wenn Deutschland in einem fiktiven Naturzustand für den Wolf ein akzeptables Habitat darstelle, müßte man, nach der Ansicht vieler, die bereits bestehenden und in Zukunft vermehrt zu erwartenden Konflikte mit dem Menschen in unserer, in extremer Weise geformten Kulturlandschaft stärker in Rechnung stellen. Es wäre ein ausgesprochener Trugschluß, wenn manche Naturschützer die Rückkehr des Wolfs als Rückkehr zur Natur in unserem Land insgesamt bejubeln. Die Anwesenheit von 82 Millionen Menschen in Deutschland und alle ihre Lebensäußerungen und Gestaltungsmaßnahmen werden durch die Ankunft des Wolfs nicht verändert und würden unser Land zu einem vergleichsweise wenig geeigneten Wolfshabitat machen.

Da gibt es Menschen, die scheinen also wirklich zu glauben, daß Deutschland in den Zeiten vor der vorübergehenden Ausrottung des Wolfes um die Mitte des 19. Jahrhunderts „weniger“ Kulturlandschaft und jenem „fiktiven Naturzustand“ näher gewesen sei als heute. Paßte also der Wolf vor 200 Jahren besser in die Landschaft als heute? Und wenn das so sein sollte, warum wurde er dann ausgerottet? Die Frage ist nicht so unsinnig wie sie zunächst klingen mag. Man darf, da ist dieser Meinung zuzustimmen, den Menschen als Teil unseres Ökosystems nicht ausklammern.

Am Beginn des 19. Jahrhunderts, spätestens nach den großen Flußbegradigungen und den Meliorationen im Norden und Osten war Deutschland zum allergrößten Teil wie heute auch eine vom Menschen überformte Kulturlandschaft. Es war allerdings eine radikal andere Kulturlandschaft.

Es gab weniger Wald und viel weniger Schalenwild als heute. Wald und Feld waren tagaus tagein der Arbeits- und Produktionsplatz für Millionen von Menschen. Die Waldeinsamkeit ist eine Projektion, ein Sehnsuchtsbild unserer romantischen Dichter und Maler. Die Wirklichkeit war laut und geschäftig. Die Menschen, die im Wald und auf den Feldern ihr Auskommen suchten, waren arm.
Sie hatten gelernt, ihr kärgliches Einkommen einer widrigen Natur abzutrotzen. Es kam ihnen nicht in den Sinn, daß diese Natur an sich etwas Schützenswertes sei, und schon gar nicht konnten sie auf den Gedanken kommen, auch der Wolf, der Viehräuber, habe einen Platz in diesem Naturganzen. Die deutsche Kulturlandschaft um 1800 war also eine ganz und gar wolfsfeindliche. Kein heutiger Wolf würde in eine solche Landschaft zurückkehren. Um 1800 waren die Wölfe in Deutschland zur falschen Zeit am falschen Platz.

Heute sind sie hier richtig. Die von der intensiven Landwirtschaft und zunehmend auch vom Klimawandel geformte Kulturlandschaft bietet ihnen optimale Bedingungen. Der gewaltige und kontinuierliche Nährstoffeintrag durch die Landwirtschaft ermöglicht große Populationen der klassischen Wolfsbeutetiere Reh, Hirsch und Wildschwein. In Deutschland leben – auch dank der Jäger – heute so viele wilde Huftiere wie wahrscheinlich noch nie in der neueren Geschichte. Wald und Flur zeigen sich, trotz menschlicher Freizeitaktivitäten, die meiste Zeit ziemlich menschenleer. Wofür früher eine Schnitterkolonne Tage brauchte, das schafft ein moderner Mähdrescher heute in einer Stunde. Zum Holzeinschlag ziehen nicht mehr die Männer eines Dorfes den Winter über in den Wald, sondern ein Harvester zieht einsame Runden im Stangenholz. An Futter und an Rückzugsmöglichkeiten mangelt es den Wölfen heute also nicht. Am günstigsten aber hat sich für den Wolf der Faktor Mensch im Ökosystem verändert. Die unversöhnliche Feindschaft, die in Zeiten ländlicher Armut unvermeidlich war, ist vorbei. Durch Wohlstandsentwicklung und einen tiefgreifenden Mentalitätswandel der europäischen Gesellschaften ist es nicht nur denkbar, sondern auch möglich geworden, die Rückkehr der Wölfe zu akzeptieren – auch wenn diese großen Beutegreifer manches durcheinanderbringen und Gewohntes in Frage stellen. Sie erzwingen Veränderungen bei der Weidetierhaltung und mischen auch das immer noch auf Schalenwildhege fixierte deutsche Weidwerk auf. Mancher meint, gegen diesen Durchzug helfe nur, die Fenster zu verrammeln.
Viele Menschen – hauptsächlich Jäger – würden am liebsten alles beim Alten lassen und nach deren Meinung und umfangreichem Elaborat auf die Forderung hinaus, den Wolf „wie Schalenwild“ jagdlich zu „bewirtschaften“ – als ob Jäger in Deutschland eine Beutegreiferart je „bewirtschaftet“ hätten und das normales jagdliches Handwerk wäre! An Treuherzigkeit ist dieser Gedanke nicht zu überbieten. Und man muß sich fragen, wie ignorant und vermessen man sein muß, die deutsche Schalenwildhege zum Modell der „Wolfsbewirtschaftung“ auszurufen. Das ist nicht nur biologischer Nonsens. Das ist auch schwerer Realitätsverlust im Blick auf das, was die Jagd in Deutschland beim Schalenwild tatsächlich leistet.

Es wird nicht zu vermeiden sein und in Zukunft häufiger vorkommen, daß einzelne Wölfe oder auch ganze Rudel erlegt werden. Die Jägerschaft muß akzeptieren, daß dazu neue Akteure, amtlich bestellte Fachleute, in ihren Revieren tätig werden. Der klügere Teil der Jägerschaft weiß auch, daß das in ihrem wohlverstandenen Interesse liegt. Tote Wölfe neben Sauen, Rehen und Hirschen auf der Drückjagdstrecke, dazu Fackeln und stimmungsvolle Hornsignale – gibt es eigentlich „Wolf tot“? – man braucht nicht viel Fantasie um zu wissen, daß solche Szenen der traditionellen Jagd sehr schnell den Garaus machen würden. Und keinem Schäfer wäre mit diesen toten Wölfen geholfen. Es gehört schon eine Menge Unverfrorenheit dazu, der unbedarften Öffentlichkeit vorzugaukeln, daß die jagdliche „Bewirtschaftung“ des Wolfes die Weidetierhalter beim Herdenschutz entlaste. Die Jäger als Schutzmacht der Schäfer – das ist ein ganz schlechter Witz.

Harald von Fehr, Kooperationsleiter der UT-DU

Bereits im Voraus vielen Dank für die alsbaldige Veröffentlichung.

Mit freundlichen Grüßen,

Harald v. Fehr

—–

Unabhängige Tierschutz – Union Deutschlands

Rechtsdurchsetzungsorganisation für Tierschutz, Natur und Umwelt
Aktionsbündnis – „Natur ohne Jagd“ – Union zum Schutz allen Lebens

angeschlossen bundesweit tätige Tier- und Naturschutzorganisationen und Einzelpersonen
deren Arbeitsgebiet im karitativen und politischen Wirken für Tiere, Natur und Umwelt liegt.

Ansprechpartner im Netzwerk bundesweiter Tierschutz-Notruf 0700 – 58585810
Kooperationsleitung – Tüttleber Weg 13 – 99867 G o t h a U T – U D
Tel.: (03621) 400766 u. 506610 # Fax: (03621) 506611 # Mail: harald.von-fehr@tierschutz-uni…

—–

Gesendet: Samstag, 09. September 2017 um 17:11 Uhr
Von: “UT-UD H.v.F.” harald.von-fehr@tierschutz-uni…
Betreff: an TA Erfurt – Rückkehr des Wolfes nach Deutschland

———-

Übersandt von:

Martina Patterson (09.09.2017; 19:18 Uhr)
pattersonmatpatt@gmx.de

———-

Veröffentlicht von „der fellbeißer“© (www.fellbeisser.net/news/) am 10.09.2017
twitter.com/fellbeisser

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein